1. documenta
    Internationale Ausstellung
  2. Juni bis 6. Oktober 1968

Künstlerische Leitung

Arnold Bode

Orte

Museum Fridericianum, Orangerie, Karlsaue, Galerie an der Schönen Aussicht

Künstler*innen

150

Besucher*innen

207.000

Budget

2,817,000 DM

Dan Flavin, Schwarzlichtraum © Dan Flavin/VG Bild-Kunst
Foto: Werner Lengemann

Die letzte hauptsächlich von Arnold Bode verantwortete documenta stand unter dem etwas angestrengt jugendlich anmutenden Slogan „Die jüngste documenta, die es je gab“. Ein deutlich verjüngter documenta-Rat (darunter maßgeblich Jean Leering vom Van Abbemuseum) sollte 1968 die „Internationale Ausstellung“ in Kassel näher an den Puls der Zeit heranführen. Nicht mehr dabei war Werner Haftmann als einer ihrer „Väter“, mit ihm ging Will Grohmann, später traten auch Werner Schmalenbach und Fritz Winter aus. Nach der retrospektiven Ausrichtung der documenta 1955 und dem Anknüpfen an das internationale Kunstgeschehen vier Jahre später schien spätestens seit der dritten Ausgabe eine grundsätzliche Standortbestimmung überfällig. Nach einigen Querelen im Innern sollte nun ein zuletzt 26-köpfiges Team basisdemokratisch über die Künstler*innenauswahl entscheiden – erstmals nicht aus einer gesicherten historischen Distanz heraus, mit der auch eine latent autoritäre kunsthistorische Wertung einhergegangen wäre, sondern konsequent dem aktuell Gegenwärtigen verpflichtet, also den vier Jahren seit der letzten documenta. Viele Kunstwerke entstanden erst kurz vor Eröffnung der Ausstellung oder wurden sogar speziell für sie produziert – ein Trend, der sich fortsetzen sollte. Nun, 1968, hielt etwas verspätet die Pop Art im großen Stil in Kassel Einzug, ebenso wie Color Field Painting, Post-Painterly Abstraction, Op Art und Minimal Art. Imposant über zwei Stockwerke im Treppenhaus der Rotunde inszeniert, ging James Rosenquists Fire Slide (1967) in das Bildgedächtnis der documenta 4 ein. Den Slogan „Seize matters“ bestätigten schon im Titel auch Roy Lichtensteins Big Modern Painting (1967), Tom Wesselmanns Great American Nude No. 98 (1968) und Robert Indianas The Great Love (1966) im Hauptsaal des Fridericianums sowie Claes Oldenburgs Giant Poolballs (1967) in der Galerie an der Schönen Aussicht. Aber auch Robert Morris’ L-Shapes (1967), Sol LeWitts raumfüllende 47 Three-Part Variations on Three Different Kinds of Cubes (1968), sowie die Gemälde von Barnett Newman (Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue II (1967)) oder Morris Louis beeindruckten mit imposanten Formaten.

James Rosenquist, Fire Slide (1967) © James Rosenquist/VG Bild-Kunst
Foto: Werner Lengemann

Al Held, Greek Garden (1966), Mao (1967) © Al Held/VG Bild-Kunst; Frank Stella, Hagmatana I (1967), Bafq (1966) © Frank Stella/VG Bild-Kunst; Robert Morris, 2 L-Shapes (1967), ohne Titel (1967) © Robert Morris/VG Bild-Kunst; Donald Judd, ohne Titel (1968) © Donald Judd/VG Bild-Kunst

Museum Fridericianum:
Kenneth Noland, Date Line (1967) © Kenneth Noland/VG Bild-Kunst; Sol leWitt, 47 Three-Part Variations on Three Different Kind of Cubes (1968) © Sol LeWitt/VG Bild-Kunst; Barnett Newman, Who is afraid of Red, Yellow and Blue II (1967), Profile of Light (1967) © Barnett Newman/VG Bild-Kunst; Morris Louis, *Alpha-Sigma *(1961)
Foto: Werner Lengemann

Museum Fridericianum:
Tom Wesselmann, Great American Nude *No. 98 (1968), *Mouth No. 15 (1968) © Tom Wesselmann/VG Bild-Kunst; Richard Smith, Second Time Around 1-5 *(1967); Roy Lichtenstein, *Yellow Brushstroke II (1965), © Roy Lichtenstein/VG Bild-Kunst; Escobar Marisol, The Dealers (1965/66), Couple (1965/66); Robert Indiana, The Great Love (1966), © Robert Indiana/VG Bild-Kunst; Larry Poons, One Credit (1967), © Larry Poons/VG Bild-Kunst
Foto: Hans-Kurt Boehlke

Andy Warhol, Flowers (1964)

Museum Fridericianum:
Jos Manders, Relief No. 9 (Accent No. 9) (1968), Vierkantje Communicatie (1968), Communicatie (1967), Gespreide communicatie (1968)

Bazon Brock, Besucherschule (1968)
Foto: Hans Puttnies

Orangerie:
Shinkichi Tajiri, Granny's Knot (1968); Erich Hauser, Säule 9/68 (1968), Raumsäule 7/68 (1967/68) © Erich Hauser/VG Bild-Kunst; Lucio Fontana, Concetto Spaciale - Nature (1965), © Lucio Fontana/VG Bild-Kunst; Shinkichi Tajiri,* 8 x 3 (1968); Klaus Geldmacher & Francesco Mariotti, *documenta-Projekt (1968), © Klaus Geldmacher/VG Bild-Kunst
Foto: Carl Eberth

Insgesamt bestimmte die Kunst aus den USA mit 51 Künstlern ungefähr ein Drittel der gesamten Ausstellung, was der documenta 4 den Beinamen „Americana“ eintrug. 1968, im Jahr der Student*innenproteste und Anti-Vietnam-Demonstrationen, löste dies heftige Gegenreaktionen aus – wenngleich die Demonstrationen in Kassel verglichen mit denen auf der Biennale in Venedig desselben Jahres vergleichsweise harmlos ausfielen: Student*innen mit roten Fahnen störten die Eröffnungsreden auf dem Friedrichsplatz, und die Pressekonferenz am Vormittag desselben Tages wurde von einer Künstler*innengruppe um Wolf Vostell und Jörg Immendorff erfolgreich in ein Happening verwandelt.
Unter anderem protestierten die Aktivisten damit gegen das völlige Fehlen der aktuellen Tendenzen von Fluxus, Happening und Performance in der offiziellen Ausstellung. In der Tat sind die Versäumnisse der documenta 4, was die deutsche Kunstszene betrifft, im Vergleich zu denen in Bezug auf die USA eklatant – hier vermisste man zwar die Concept Art sowie die Performance, doch waren im Bereich der Malerei und Skulptur sowie mit Environments von Ed Kienholz, Robert Rauschenberg und George Segal die wichtigen Vertreter und Strömungen präsent. Joseph Beuys war mit einer Rauminstallation vertreten, doch ansonsten erwies sich die Auswahl der deutschen Künstler*innen mit etwa Horst Antes, Joseph Albers, Erwin Heerich oder Richard Paul Lohse als wenig innovativ – für die sechziger Jahre wichtige Künstler*innen wie Thomas Beyerle, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Imi Knoebel oder Reiner Ruthenbeck fehlten, ganz zu schweigen von Fluxus und Happening. Auch in Bezug auf die Präsenz von Positionen von Künstlerinnen schnitt die vierte documenta unterdurchschnittlich ab: Mit Jo Baer, Marisol, Louise Nevelson und Bridget Riley befanden sich gerade einmal vier Frauen unter den 150 Künstlern. 
Im Außenraum wagte sich die documenta mit Skulpturen zum ersten Mal hinaus auf die Karlswiese, die weitläufig bespielt wurde – vornehmlich mit eher traditionellen, semi-abstrakten Skulpturen. Besonders eindrücklich blieb hier Christos (Jeanne-Claude wurde damals noch nicht als Mitautorin genannt) spektakuläres Luftkissen 5600 Cubicmeter Package (1968) in Erinnerung, das immerhin den Ansatz eines neues Skulpturbegriffs einführte. Nach mehreren gescheiterten Versuchen bewies der zu guter Letzt mit Helium gefüllte Schlauch schließlich doch noch Stehvermögen und erhob sich stolze 58 Meter phallisch in die Höhe (was ihm unter der Kasseler Bevölkerung diverse naheliegende Spitznamen eintrug). 

Christo, 5450 m cubic package (1967/68)
Foto: Stadt- und Kreisbildstelle Kassel

Ein Novum mit gesellschaftspolitischem Anspruch war die Besucherschule von Bazon Brock, in der er mit seiner Technik des „Action Teaching“ die sich verändernden Realitätsbezüge in der zeitgenössischen Kunst einem breiten Publikum verständlich machen wollte. Mit seinem performativ-didaktischen Akt der Kunstvermittlung prägte Brock nachhaltig den Vermittlungsanspruch der folgenden documenta-Ausstellungen.

Teilnehmende Künstler*innen

A

  • Albers, Josef
  • Alviani, Getulio
  • Andre, Carl
  • Antes, Horst
  • Anuszkiewicz, Richard
  • Arakawa, Shusaku
  • Arman (Armand, Fernandez & Fernandez, Arman & Arman, Fernandez Pierre & Fernandez, Armand Pierre)
  • Artschwager, Richard (Artschwager, Richard Ernst)

B

  • Baer, Jo (Baer, Joe & Kleinberg, Josephine Gail)
  • Bell, Larry Stuart
  • Berns, Ben
  • Beuys, Joseph
  • Bladen, Ronald (Wells, Charles Ronald)
  • Brüning, Peter
  • Bury, Pol

C

  • Calderara, Antonio
  • Camargo, Sergio de
  • Caro, Anthony (Caro, Alfred)
  • Castellani, Enrico
  • Castillo, Jorge
  • Chillida, Eduardo
  • Christo (Javacheff, Christo)
  • Chryssa (Chryssa, Varden M.)
  • Colombo, Gianni
  • Cornell, Joseph
  • César (Baldaccini, César)

D

  • Davis, Ron (Davis, Ronald)
  • Dekkers, Ad (Dekkers, Adrian)
  • Demarco, Hugo
  • De Maria, Walter (Maria, Walter de & DeMaria, Walter)
  • Diller, Burgoyne
  • Dine, Jim
  • Di Suvero, Mark (Suvero, Mark di & DiSuvero, Mark)
  • Dobes, Milan
  • Dubuffet, Jean

E

  • Engels, Pieter
  • Ernest, John

F

  • Fahlström, Oyvind (Fahlström, Öyvind & Fahlström, Axel Christian)
  • Flavin, Dan
  • Fontana, Lucio
  • Fruhtrunk, Günter

G

  • Geiger, Rupprecht
  • Geldmacher, Klaus & Mariotti, Francesco
  • Gerstner, Karl
  • Gnoli, Domenico
  • Goeschl, Roland
  • Golden, Daan van
  • Graevenitz, Gerhard von
  • Graubner, Gotthard

H

  • Hains, Raymond
  • Hamilton, Richard
  • Hauser, Erich
  • Heerich, Erwin
  • Held, Al
  • Higgins, Edward
  • Hill, Anthony
  • Hockney, David
  • Hoyland, John

I

  • Indiana, Robert (Clark, Robert)
  • Irwin, Robert

J

  • Jacquet, Alain George Frank
  • Jensen, Al (Jensen, Alfred)
  • Johns, Jasper
  • Jones, Allen
  • Judd, Donald

K

  • Kadishman, Menashe
  • Kampmann, Utz
  • Kelly, Ellsworth
  • Kienholz, Edward
  • King, Phillip
  • Kitaj, R. B. (Kitaj, Ronald Brooks)
  • Klapheck, Konrad
  • Klein, Yves
  • Kolář, Jiří
  • Kosice, Gyula (Fallik, Fernando)
  • Krushenick, Nicholas

L

  • Lenk, Thomas
  • Le Parc, Julio (Parc, Julio Le)
  • LeWitt, Sol (Le Witt, Sol)
  • Lichtenstein, Roy (Lichtenstein, Roy Fox)
  • Lindner, Richard
  • Lohse, Richard Paul
  • Lo Savio, Francesco (Savio, Francesco Lo & LoSavio, Francesco)
  • Louis, Morris (Bernstein, Morris Louis)

M

  • Malaval, Robert
  • Manders, Jos
  • Manzoni, Piero
  • Mari, Enzo
  • Marisol (Escobar, Marisol)
  • Martin, Kenneth
  • Mavignier, Almir (Silva Mavignier, Almir da & Da Silva Mavignier, Almir)
  • Megert, Christian
  • Morellet, François
  • Morris, Robert
  • Munari, Bruno

N

  • Nauman, Bruce
  • Negret, Edgar
  • Nevelson, Louise (Berliawsky, Louise)
  • Newman, Barnett
  • Noland, Kenneth (Noland, Kenneth Clifton)
  • Nusberg, Lev (Nussberg, Lew V.)

O

  • Oldenburg, Claes
  • Olitski, Jules (Demikovosky, Jevel)

P

  • Paolozzi, Eduardo (Paolozzi, Eduardo Luigi)
  • Pichler, Walter
  • Pistoletto, Michelangelo
  • Poons, Larry

R

  • Raetz, Markus
  • Ramon
  • Rauschenberg, Robert (Rauschenberg, Milton Ernest)
  • Raveel, Roger
  • Raysse, Martial
  • Reichert, Josua
  • Reinhardt, Ad
  • Rickey, George (Rickey, George Warren)
  • Riley, Bridget
  • Rivers, Larry
  • Rosenquist, James
  • Roth, Dieter (Rot, Diter)

S

  • Samaras, Lucas
  • Sandle, Michael
  • Schoonhoven, Jan J.
  • Segal, George
  • Severen, Dan van (Van Severen, Dan)
  • Smith, David (Smith, David R.)
  • Smith, Richard
  • Smith, Tony
  • Stanley, Robert (Stanley, Bob)
  • Stella, Frank
  • Sykora, Zdenék

T

  • Tajiri, Shinkichi
  • Takis (Vassilakis, Panayotis)
  • Talman, Paul
  • Thek, Paul
  • Tilson, Joe
  • Tinguely, Jean
  • Télémaque, Hervé
  • Tàpies, Antoni (Puig, A.T.)
  • Trova, Ernest
  • Tucker, William
  • Turnbull, William
  • Tyzack, Michael

U

  • Uecker, Günther
  • Ultvedt, Per Olof

V

  • Vasarely, Victor (Vasarely, Victor de & Vásárhelyi, Gyözö)
  • Visser, Carel (Visser, Carel Nicolaas)
  • Voss, Jan

W

  • Warhol, Andy (Warhola, Andrew)
  • Wesselmann, Tom (Wesselman, Tom)
  • Westermann, Horace Clifford (Westermann, H. C. & Clifford Westermann, Horac)

Künstlerischer Leiter
Arnold Bode (1900–1977)

geboren 1900 in Kassel, gestorben 1977 in Kassel

1919 – 1924

Studium Malerei und Grafik, Kunstakademie Kassel, Kassel

1922 – 1929

Kunstausstellungen moderner Kunst in der Orangerie in Kassel

1925

Gründung der Kasseler Sezession sowie der Künstlergruppe Die Fünf

ab 1926

Freier Maler und Zeichner

1929

Eintritt in die SPD. Bis 1977 Mitglied der SPD

1930

Dozent am Städtischen Werklehrer-Seminar, Berlin

1931 – 1933

Stellvertretender Direktor des Werklehrer-Seminars, Berlin

1933

Entfernung aus dem Amt durch die Nationalsozialisten. Berufsverbot als Künstler

1934

Innere Immigration in Kassel

1945

Amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach Entlassung Rückkehr nach Kassel

ab 1945

Entwicklung von Projektplänen für eine große internationale Kunstausstellung. Gründung der Gesellschaft Abendländischer Kunst des 20. Jahrhunderts

1948

Neugründung Kasseler Kunstakademie, die 1932 geschlossen worden war

1950 – 1955

Tätigkeit als Raumgestalter und Möbeldesigner

1955

Künstlerischer Leiter der ersten documenta in Kassel

1959

Künstlerischer Leiter der documenta 2, Kassel

1964

Künstlerischer Leiter der documenta 3, Kassel

1964

Künstlerischer Leiter der documenta 4, Kassel

Auszeichnungen (Auswahl):

1974

Verleihnung des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland

2015

Hessischer Kulturpreis für die Tätigkeit als Künstlerischer Leiter der documenta 1-4 (posthum)